Leidenschaft die Leiden schafft
- thistle-bagpipe
- 5. Mai
- 5 Min. Lesezeit

Ich bin zweifelsohne weder Bodybuilder noch eine Ballettelfe. Ich befinde mich wohl irgendwo dazwischen und trotzdem hat sich beides in mein Leben gedrängt, welches nicht mehr ausschließlich nur aus Piping besteht. Das ist auch gar nicht schlimm, vielmehr sehe ich alles in Ergänzung zueinander, was mich am Ende, bzw. einen großen Teil von mir ausmacht. Der Mensch ist eben vielfältig und die wirksamste Demenzprophylaxe ist es nun mal, neue Dinge auszuprobieren oder bestehendes anders zu machen, selbst wenn man sich noch fern solcher Übel wähnt. Einen riesigen Energiekick hat mir der Kraftsport beschert, was ich doch ziemlich konsequent seit 2 Jahren betreibe. Rückenschmerzen ade, selbst nach 2 Bandscheibenvorfällen in der Halswirbelsäule, welche sich immer mal wieder bemerkbar machten. Mein Ziel: Muskulatur aufzubauen, bzw. zu erhalten. Damit das ganze funktioniert, spielt auch die Ernährung eine zentrale Rolle, welche ich entsprechend umgestellt habe. Jenseits der 40 mutiert man leider mehr und mehr zum Pudding. Und genau diesen Pudding kann man weder beim Pipen noch beim Ballett gebrauchen.
Tatsächlich baut der Mensch, besonders ab dem 30. Lebensjahr konsequent wichtige Muskelmasse ab, was sich nur durch gezielten Muskelaufbau oder -erhalt bzw. andere entsprechende Aktivitäten verhindern lässt. Ich muss schon sagen, dass es mir für das Piping tatsächlich zuträglich ist, ich habe mehr Power beim Pipe spielen und kann eine bessere Spannung im Oberkörper aufbauen. Die gleiche Spannung hilft mir auch beim Ballett. Ich trainiere ganz bewusst meine Core - Muskulatur, um die Körpermitte zu stabilisieren...auch wenn man das beim Ballett nicht immer so sieht :-) Ich merke, dass Planks mich nicht mehr schrecken und ich seltenst bis nie Muskelkater habe, obwohl man hier auch Muskeln beansprucht, von welchen man nicht vermutet, dass sie überhaupt existieren.
Natürlich gibt es aber wie überall auch Schattenseiten, wenn man es, wie mit jedem Sport übertreibt. Die Neigung zu Sehnen- und Sehnenscheidenentzündungen ist mir wohl leider in die Wiege gelegt, auch der berühmte Hexenschuß hat mich schon mehr als einmal heimgesucht, wenn ich es im Kraftsport mal wieder übertrieben habe. Nun, ein wenig Lehrgeld zu bezahlen, ist wohl auch richtig und wichtig um seine eigenen Grenzen zu erfahren und besser einschätzen zu können. Zur Zeit plagt mich wieder die rechte Schulter, an der ich eine Bizepssehnenentzündung vermute. Man wird eben nicht jünger...*seufz*
Während ich mich im Kraftsport komplett von meiner Umgebung abschirme und nur mein Ding für mich durchziehe, kommen allerdings so einige Zermürbnisse im Ballett auf mich zu. Hier bewahrheitet sich der Spruch "Leidenschaft weil es Leiden schafft" gleich doppelt. Ich leide...mal wieder an meinen Vögeln, die regelmäßig aus meinem Baum fliegen, wenn es neue Bewegungsabfolgen zu lernen gibt oder wenn etwas plötzlich umgestellt wird. (Zur Erklärung könnt ihr gerne mal meinen Blogbeitrag "Wenn die Vögel aus dem Baum fliegen...oder wie lernt ein Notenlegastheniker" lesen ;-) Nur dass ich jetzt zum Bewegungslegastheniker mutiert bin.
Fakt ist, ich bekomme alles um mich herum mit. Dass sich in der Wasserkaraffe eine Scheibe Zitrone befindet, dass Beate einen roten Pullover anhat, Dinge die außerhalb vom Raum auf dem Sofa besprochen werden....nur eben leider nicht die richtige Abfolge der geforderten Elemente, bzw. ist mein Hirn in dem Moment überfordert, diese Informationen auch noch zu verarbeiten und in die richtigen Kanäle zu leiten. Im Gegensatz zu der Zeit, als ich meinen Artikel über die Vögel in meinem Kopf verfasst hatte, weiß ich aber heute, woran das liegt. Ich habe ein Filterproblem. Ich bin hochsensibel und nehme einfach zu viel um mich herum wahr, als dass mein Fokus nur auf dem geforderten Bewegungsablauf liegen könnte. Wobei...den Begriff "hochsensibel" finde ich immer etwas negativ besetzt, man stellt sich irgendwie heulende, hysterische Menschen vor, die mit allem überfordert sind...so ist es aber nicht. Mein Gehirn ist damit beschäftigt, alles um mich herum zu verarbeiten und das kann manchmal ganz schön viel und sehr anstrengend sein, so dass es sich selbst eine Auszeit nimmt...also die Vögelchen aus meinem Baum flattern. Überhaupt empfinde ich den Begriff "erhöhte Neurosensitivität", den ein schweizer Wissenschaftler geprägt hat, irgendwie besser. Daher hat es sich auch hier, wie in der Musik für mich bewährt, die Dinge in Ruhe mit meinem eigenen Scanner in Zeitlupe zu be- und verarbeiten und in alle Einzeldetails zu zerlegen. Lange Leitung bleibt halt lange Leitung. Aber mittlerweile finde ich das nicht mehr so schlimm, weil ich weiß, damit umzugehen und in dem Moment, wo mich was überfordert, es auch zugeben kann und mich einfach dann bewusst rausnehme. Generell kann ich sagen, dass es unheimlich viele Parallelen zur Musik gibt. Ich muss nur alles langsam für mich ausarbeiten, langsam und korrekt und vor allem in Ruhe. Schnell zu schnell wird unkontrolliert, unbewusst und unsauber. Das ist das, was ich meinen Schülern in der Musik immer predige und hier bewahrheitet sich es für mich auch wieder. Selbst im Kraftsport sind die Details wichtig und eine saubere Ausführung unabdingbar, zumal die Gefahr von Verletzungen bei zu schneller, zu schwerer und unkorrekter Ausführung hier noch dazu kommt, im Ballett mitnichten. Nun ja, ich will nicht behaupten, dass ich mich an jenem Punkt im Ballett befände, an dem ich wahnsinnig komplexe Dinge ausführen könnte aber da reicht es schon, sich beim "Changement" auf den eigenen Fuß zu springen oder unglücklich zu landen, um eine Ahnung zu bekommen was alles noch passieren könnte. Überhaupt, bin ich nicht nur ein Bewegungslegastheniker. Das Tanzen für die goldene Tanznadel, welche ich als Teenager im Standardtanz mal erworben hatte, mutet dagegen an wie Salzsäulenpolka. Auch habe ich überhaupt keine Ballettfüße. Eher krumme Bananenfüße. Meinem zu hohen Fußgewölbe und damit verbundenen extrem kurzen Zehen sei Dank, bleibt mir ein schöner Ballettfuß wohl auf ewig verwehrt. Meine Zehen sind so kurz, dass ich sie bis auf den kleinen Zeh nicht unabhängig von einander bewegen oder abspreizen, geschweige denn nach unten krümmen kann. Ich werde auch zu Hause aufgrund meiner "Stummelzehen" belächelt, weil alle noch so affenähnliche Greifer haben. Ich begründe das allerdings damit, dass ich sicherlich schon eine Stufe in der Evolution voraus bin, in der Zehen zum Greifen nicht mehr notwendig sind...schließlich habe ich zwei Hände :-) Mein nächstes Problem...geschlossene Hüfte. Ich konnte schon als Kind nie im Schneidersitz ohne bald auftretende Schmerzen sitzen, ein nächster Punkt, warum ich wohl auf ewig eher die Laufente abgeben werde, statt den schönen Schwan. Allerdings bin ich auch ein Dehnungsmuffel, sowohl nach dem Sport als auch nach dem Ballett, wobei ich mal eine Zeit lang Yoga probiert hatte, was mir eigentlich ganz gut tat. Alles in Allem, zähle ich mich langsam doch zu den Hochleistungssportlern. Alle drei Hobbys eint eine Leidenschaft, eine die im wahrsten Sinne des Wortes Leiden schafft (welche das im Piping sind, könnt Ihr gerne in meinen vorhergehenden Blogartikeln nachlesen ;-)).Eine Leidenschaft, die ohne Fehler, ohne körperlichen Einsatz, Schmerz, Schweiß und Muskelkater - und ohne die kleinen Fortschritte, die all dies belohnen - niemals entstehen könnte.
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